Matteo Magherini, RINA, und die Zukunft der Nautik: Nuklearantrieb für Superyachten.

14/11/2025 - 08:26 in Angebote und Spielzeug by Press Mare

An der Spitze der Innovation im Superyacht-Segment leitet Matteo Magherini das North Europe Yachting Centre von RINA, wo er Programme zu fortschrittlichen Energiesystemen, Dekarbonisierungsstrategien und zur Klassifizierung der nächsten Schiffsgeneration koordiniert.

Anfang 2025 veröffentlichte er das RINA-Whitepaper “Application of Nuclear Technology for Superyachts”, das Nuklearantrieb nicht als Zukunftsvision, sondern als realistische Option für langstreckentaugliche und emissionsarme Yachtkonzepte vorstellt. Beim Monaco Yacht Show (24.–27. September 2025) präsentierte RINA seine Innovationsagenda und stellte – über das von Magherini geleitete Team – erste Machbarkeitsstudien zu sicheren maritimen Modularreaktoren vor.

Mit italienischen Wurzeln und operativem Schwerpunkt in Nordeuropa bewegt sich Magherini an der Schnittstelle zwischen Regulierung, Sicherheit und strategischer Entwicklung. Er gehört zu den zentralen Akteuren im Dialog darüber, wie Klassifizierung, Engineering und Nachhaltigkeit zusammenwirken können, um die nächste Generation von Superyachten zu definieren.

Nachfolgend unser Interview zum Projekt Nuclear Energy Systems.

Balance zwischen Sicherheit und Innovation

PressMare – Angesichts der strengen regulatorischen, sicherheitsrelevanten und umweltbezogenen Anforderungen des Nuklearantriebs: Wie lässt sich Innovation mit Risiko in Einklang bringen – sowohl für Eigner und Nutzer als auch für Designer und Werften in Bezug auf Reputation und Regulierung?

Matteo Magherini – Neue nukleare Technologien sind sehr sicher. Die grundlegenden Prinzipien der Reaktoren der sogenannten vierten Generation setzen auf Sicherheit und Effizienz.

So können sich die Reaktoren bei einem Betrieb außerhalb des vorgesehenen Bereichs selbstständig abschalten, ohne externes Eingreifen. Zudem arbeiten diese Reaktoren bei atmosphärischem Druck, was das Sicherheitsniveau im Vergleich zu Systemen der ersten Generation erhöht.

Damit Regulierungsbehörden mit dem technologischen Fortschritt Schritt halten können, müssen neue Vorschriften stärker auf leistungsorientierten Zielen (Goal-Based) basieren und weniger auf rein vorschreibenden Leitlinien. Wahrscheinlich wird ein ausgewogener Ansatz zwischen den beiden Schulen der richtige Weg sein.

Es ist offensichtlich, dass ein nuklear betriebenes Yachtprojekt einen Eigner voraussetzt, der über ein tiefes technisches Verständnis verfügt und bereit ist, Entwicklungsrisiken einzugehen – im Austausch gegen den potenziellen Vorteil, als Early Adopter eine Schlüsselrolle im technologischen Fortschritt einzunehmen.

Integration in die Vision und das Profil des Eigners

PM – Eigner haben bei der Planung ihres Schiffs oft eine klare Vorstellung des Einsatzprofils (Mittelmeer, Expeditionen, Geschwindigkeit, Komfort, Services). In welchen Szenarien ergibt ein nuklearer Antrieb am meisten Sinn – und wo wäre er überdimensioniert oder ungeeignet?

MM – Eine nuklearbetriebene Yacht eignet sich besonders für lange Fahreinsätze und für Eigner, die Erkundungen in abgelegenen Gebieten anstreben, mit hoher energetischer Autarkie und der Fähigkeit, über längere Zeiträume vollständig off-grid zu operieren.

Ein wesentlicher Teil der erzeugten Energie kann für bordeigene Dienstleistungen genutzt werden – etwa für dynamische Positionierung, HVAC-Systeme, beheizte Pools, bewegliche Plattformen, Energiespeicherlösungen, elektrische Tender und mehr.

Was den Hauptantrieb betrifft, hat die Branche in den letzten zehn Jahren niedrigere Höchstgeschwindigkeiten zugunsten höherer Effizienz akzeptiert. Der Nuklearantrieb könnte dieses Paradigma durchbrechen und höhere Geschwindigkeiten sowie größere Reichweiten ermöglichen.

Für küstennahe Einsätze oder kurze Navigationsprofile bleiben alternative Kraftstoffe weiterhin die logischere Wahl, auch aufgrund der spezifischen internationalen und lokalen Regulierungen.

Regulierung und Klassifizierung

PM – Welche regulatorischen oder klassifikatorischen Herausforderungen müssen Ihrer Ansicht nach gelöst werden, bevor der Nuklearantrieb im Superyacht-Sektor realistisch wird? Und welche Schritte sind dringend erforderlich, um den Diskurs voranzubringen?

MM – Die technologischen Entwicklungen im maritimen Nuklearbereich verlaufen derzeit schneller als die Normen. Der regulatorische Rahmen muss aktualisiert werden.

Der Nuclear Code und Kapitel VIII des SOLAS-Übereinkommens werden von der IMO überarbeitet, mit ersten Arbeitsphasen ab 2026. Diese Arbeiten werden von den Flaggenstaaten geführt, die die Prioritäten festlegen.

Parallel dazu aktualisieren die Klassifikationsgesellschaften ihre Leitlinien zum Nuklearbereich.

Technologische und konstruktive Auswirkungen

PM – Welche technologischen Haupthürden bestehen aus Sicht des Designs und der Schiffsarchitektur (Reaktorgröße, Abschirmung, Sicherheit, Wartung, Crew-Training, Abfallmanagement)? Wie beeinflussen diese Faktoren Layout, Gewicht, Volumen, Kosten und Lebenszyklus?

MM – Eine nuklearbetriebene Yacht wird ein völlig anderes Layout haben als eine konventionelle Yacht.

Aufgrund der erforderlichen Zusatzsysteme ist die Technologie vor allem bei großen Yachten – über 100 Meter – sinnvoll, um die Auswirkungen der technischen Bereiche auf die nutzbaren Bereiche zu minimieren.

Ein wesentlicher Effekt betrifft die Plattform-Ingenieurstruktur, da sich erhebliche Gewichtskonzentrationen rund um den Reaktorbereich ergeben. Die Schutzmaterialien führen dort zu einer besonders hohen Gewichtsverteilung.

Die Investitionskosten der Maschinenanlagen (CAPEX) werden deutlich höher sein als bei einer herkömmlichen Yacht. Auch die Betriebskosten (OPEX) werden anfangs höher ausfallen, jedoch führt der Kraftstoffvorteil im Lebenszyklus von 10–15 Jahren zu erheblichen Einsparungen.

Derzeit wird davon ausgegangen, dass der Reaktor vom Hersteller im Leasing bereitgestellt wird, der die nukleare Fachkompetenz behält. Dennoch wird qualifiziertes nukleares Bordpersonal erforderlich sein, was höhere Ausbildungsanforderungen und Betriebskosten mit sich bringt.

Marktnachfrage und öffentliche Akzeptanz

PM – Wie wird der Markt für emissionsfreie oder emissionsarme Antriebssysteme wahrgenommen? Gibt es Eigner, die einen Nuklearantrieb akzeptieren würden – nicht nur aus Leistungsgründen, sondern auch im Hinblick auf die öffentliche Wahrnehmung? Welche kommunikativen Herausforderungen erwarten Sie (öffentliche Sorge, Versicherungen, Hafenzugang usw.)?

MM – In den letzten Jahrzehnten ist das Interesse der Endkunden an emissionsfreien Technologien deutlich gestiegen. Die öffentliche Wahrnehmung bleibt jedoch das größte Hindernis für den nuklearen Einsatz im zivilen Bereich.

Superyachten leiden bereits unter einem negativen öffentlichen Image, vermutlich aufgrund der wahrgenommenen Distanz zwischen Öffentlichkeit und Eignern. Die Kombination „Nukleartechnik + Superyachten“ könnte daher besonders komplex sein – aber auch eine Gelegenheit, einen konstruktiven Beitrag zur Energiewende sichtbar zu machen.

Die Bedenken der Öffentlichkeit beruhen oft auf historischen Nuklearereignissen. Die Aufklärung über die neue Generation der Technologie ist im Gange und muss fortgeführt werden.

Gezielte Kommunikationsmaßnahmen könnten zudem auf Sekundärnutzen hinweisen – etwa die Nutzung überschüssiger Energie zur lokalen Produktion von E-Fuels oder die Versorgung isolierter Gemeinschaften mit sauberem Strom.

Filippo Ceragioli

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