
Ferretti-Gruppe in mutmaßlichen Fall von Industriespionage verwickelt
Ermittlungen in Mailand: Versteckte Abhörgeräte in den Büros des Luxusyacht-Herstellers entdeckt. Zielpersonen: Geschäftsführer Xu Xinyu und seine Assistenten.
Ferretti S.p.A., einer der weltweit renommiertesten Yachtbauer, steht im Mittelpunkt eines komplexen juristischen Falls, der Luxus, Geopolitik und Cyberspionage miteinander verbindet. Laut Bloomberg – bestätigt durch mit der Untersuchung vertraute Quellen und eine offizielle Stellungnahme des Unternehmens – ermittelt die Staatsanwaltschaft Mailand wegen des Fundes von Abhörgeräten in den Büroräumen des Unternehmens in Mailand.
Der Vorfall begann Anfang April 2024, als Xu Xinyu, geschäftsführender Direktor im Verwaltungsrat von Ferretti S.p.A. und Vertreter des Hauptaktionärs Weichai Group, verdächtige Aktivitäten rund um den Firmensitz in einem eleganten Gebäude aus dem 18. Jahrhundert bemerkte. Mehrfach wurden unbekannte Personen in der Nähe des Gebäudes und in Hotels, in denen sich Xu aufhielt, beobachtet. Aus Sorge um seine Sicherheit beauftragte Xu ein privates Gegenspionage-Unternehmen, das in der Nacht vom 3. April versteckte Mikrofone und Signalverstärker in seinem Schreibtisch sowie in anderen Büros fand – darunter die Räume des Vorstandssekretärs und des Chinesisch-Italienischen Übersetzers.
Das Unternehmen bestätigte später, dass es als geschädigte Partei agiere, und sprach von einer „rechtswidrigen und unzulässigen Installation von Überwachungseinrichtungen“. Ferretti hat bei der Staatsanwaltschaft offiziell Anzeige erstattet. Die Ermittlungen laufen derzeit in zwei getrennten Strafverfahren, eines davon wurde im Mai 2024 nach einer Anzeige von Xu und seinem Team eingeleitet – unter anderem wegen unerlaubten Zugriffs auf IT-Systeme und Eingriffs in die Privatsphäre.
Obwohl sich die Ermittlungen noch im Anfangsstadium befinden, werfen sie bereits Fragen zur Unternehmensführung und zu internen Machtverhältnissen auf. In den Monaten vor dem Vorfall hatte sich das Klima zwischen dem Management von Ferretti und den chinesischen Vertretern des Hauptaktionärs Weichai spürbar verschärft – insbesondere nach Vorlage eines Aktienrückkaufplans, der das Machtgleichgewicht im Unternehmen hätte verändern können. Dieser Plan, im März der italienischen Regierung vorgelegt, löste unter den chinesischen Verwaltungsratsmitgliedern Besorgnis aus, da ein staatlicher Eingriff gemäß der sogenannten „golden power“-Regelung befürchtet wurde.
Italien erlaubt staatliche Eingriffe in Unternehmensentscheidungen, wenn strategisch relevante Branchen betroffen sind – was auch für Ferretti gilt, nicht zuletzt aufgrund der (wenn auch marginalen) Produktion von Einheiten für Polizei und Küstenwache. Der Rückkaufplan wurde am 31. März im Rahmen einer außerordentlichen Verwaltungsratssitzung offiziell zurückgezogen. Bemerkenswert ist, dass die mutmaßliche Überwachungsaffäre unmittelbar nach diesem Treffen bekannt wurde.
Auch unter dem Gesichtspunkt der Markttransparenz wirft der Fall Fragen auf. Laut von Bloomberg befragten Rechtsexperten sind börsennotierte Unternehmen in Italien verpflichtet, Ermittlungen oder Sicherheitsvorfälle öffentlich zu melden. Ferretti, an den Börsen in Hongkong und Mailand gelistet, hat den Vorfall bislang nicht öffentlich gemacht.
Der derzeitige Verwaltungsrat von Ferretti besteht aus neun Mitgliedern, davon sechs chinesischer Staatsangehörigkeit. Verschiedene Quellen berichten über eine zunehmende interne Spaltung – insbesondere hinsichtlich der Machtverteilung und des Umgangs mit der golden share. Das Unternehmen bestreitet jedoch jegliche Spannungen mit dem Mehrheitseigner und erklärte, dass „die Beziehung zu Weichai seit über zehn Jahren auf gegenseitigem Vertrauen und konstruktiver Zusammenarbeit beruht.“
Der Fall Ferretti reiht sich ein in eine zunehmende Aufmerksamkeit der italienischen Regierung gegenüber ausländischen Investitionen in strategische Wirtschaftsbereiche. Es ist nicht das erste Mal, dass die Behörden ihre „golden power“ gegen chinesisch kontrollierte Unternehmen anwenden – ein prominenter Präzedenzfall war Pirelli, das seine Unternehmensführung ändern musste, um den Einfluss des Aktionärs Sinochem einzuschränken.
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