Gianluca Ciniero

Gianluca Ciniero

Energie, Methode und Identität: Die technische Vision von Cantiere delle Marche, erzählt vom COO Gianluca Ciniero

Wissen und Technik

21/11/2025 - 08:00

Energie an Bord – eines der zentralen Themen, mit denen sich heute Konstrukteure, Techniker und Ingenieure der Yachtbranche beschäftigen. Selbst auf großen Yachten, wo der Energie- und Komfortbedarf hoch ist, ist die Emissionsreduzierung zu einem vorrangigen Ziel geworden. Die Arbeit konzentriert sich auf zwei parallele Ansätze: einerseits die Senkung des Verbrauchs zur Reduzierung des gesamten Energiebedarfs, andererseits die Suche nach Alternativen zu herkömmlichen, fossil betriebenen Verbrennungsmotoren.

Die Forschung nach „grünen“ Lösungen erschließt neue technische Gebiete – oft vielversprechend, aber noch experimentell. Grüne Kraftstoffe wie Wasserstoff und Methanol aus erneuerbaren Quellen gelten als Energieträger der Zukunft, sind aber derzeit mit hohen Kosten, aufwändiger Produktion, strengen Betriebsparametern und Schwierigkeiten bei der Lagerung an Bord verbunden – mit unvermeidlicher Einschränkung des Wohnraums – sowie einer noch unzureichenden Versorgungsinfrastruktur.

Auch HVO, obwohl mit Schiffsmotoren kompatibel, ist durch Kosten, begrenzte Verfügbarkeit nachhaltiger Rohstoffe und fehlende Hafeninfrastruktur in seiner Verbreitung gebremst.

Vor diesem Hintergrund steht ein Teil der Arbeit von Gianluca Ciniero, Chief Operating Officer von Cantiere delle Marche, der gemeinsam mit seinem Team und renommierten Beratern und Konstrukteuren unter der Leitung von Product Manager Vasil Truja ein innovatives, eigenes Wärmerückgewinnungssystem entwickelt. Diese Forschung soll Yachten effizienter machen, ohne Plattform, Layout oder Bauphilosophie zu verändern.

Unter seiner Leitung festigt Cantiere delle Marche zudem seine Position als einer der weltweit führenden Hersteller von Explorer-Yachten aus Stahl und Aluminium – dank eines Produktionsmodells, das technische Innovation und handwerkliche Identität miteinander verbindet.

Wir haben mit ihm darüber gesprochen.

PressMare – Herr Ciniero, Sie leiten ein Projekt, das einen Paradigmenwechsel im Energiemanagement an Bord darstellen könnte. Wie ist diese Forschung entstanden und was ist ihr Ziel?

Gianluca Ciniero – Die Idee entstand aus einer einfachen Beobachtung: Auf einer Yacht ist viel Energie vorhanden, die heute jedoch in Form von Abwärme verloren geht. Anstatt neue Brennstoffe oder komplexe Systeme einzuführen, wollten wir das Bestehende nutzen und die Wärme zurückgewinnen, die von den Antriebs- und Generatoraggregaten erzeugt wird.

Wir arbeiten an einem System, das das Thema nicht nur teilweise, sondern umfassend angeht. Das Konzept ist die substantielle Rückgewinnung von Wärme aus den wichtigsten verfügbaren Quellen – den Kühlkreisläufen, aber auch den Abgasen, die am heißesten und somit energetisch am „reichhaltigsten“ sind.

Das Prinzip ist einfach: Die an Bord verloren gehende Wärmeenergie kann in nutzbare Arbeit umgewandelt und in das Schiffssystem zurückgeführt werden – integriert in das Power Management System – und so aktiv zur Antriebsleistung und zur betrieblichen Effizienz beitragen. Dieser konservative Ansatz verbessert nicht nur die technischen Leistungen und senkt den Verbrauch, sondern reduziert auch die Umweltauswirkungen, da niedrigere Abgastemperaturen die thermische Belastung der Umgebung mindern.

PM – In einer Zeit, in der viele Werften mit alternativen Kraftstoffen und emissionsfreien Antrieben experimentieren, gehen Sie den entgegengesetzten Weg…

GC – Genau. Es ist eine gegenläufige, aber sehr rationale Entscheidung.

Grüne Alternativen sind faszinierend, stoßen aber noch auf erhebliche Hürden. Selbst in einem idealen Szenario mit perfekter Infrastruktur, ausgereifter Technologie und skalierbarer nachhaltiger Produktion bleibt das Verhältnis zwischen Kosten, Sicherheit und Einfluss auf das Yachtlayout ungünstig – insbesondere bei Yachten unter 500 GT. Alternative Kraftstoffe erfordern oft sperrige Tanks, komplexe Managementsysteme und strenge Sicherheitsprotokolle.

Deshalb haben wir uns für einen anderen Weg entschieden: die bestehende Plattform nicht zu verändern, sondern ihr Potenzial zu maximieren, indem wir die Energierückgewinnung optimieren. Ein realistischer, praxisnaher Ansatz, der die Effizienz der bereits an Bord installierten Systeme steigert. Bald werden wir weitere Details dazu bekannt geben.

PM – Wie funktioniert dieses Wärmerückgewinnungssystem im Prinzip? Auf einigen Yachten wird die Motorabwärme bereits zur Erwärmung von Brauchwasser genutzt – Ihr System scheint weiter zu gehen…

GC – Die Umwandlung von thermischer in mechanische oder elektrische Energie erfolgt unter vergleichsweise milden Betriebsbedingungen durch eine kompakte Maschine, die eine optimale Lastverteilung bei minimalem Geräusch und Vibration ermöglicht.

Wir möchten in dieser Phase keine weiteren Details zum Funktionsprinzip veröffentlichen. Im Einklang mit der konkreten und ergebnisorientierten Philosophie von Cantiere delle Marche werden wir alle Informationen veröffentlichen, sobald das System im Rahmen einer operativen Demonstration getestet und validiert wurde.

PM – Sprechen wir von einer Turbine?

GC – Angesichts der in Frage kommenden Leistungen und Temperaturen sind Turbinen keine praktikable Lösung…

PM – Können Sie noch etwas ergänzen?

GC – Derzeit nicht, aber zu gegebener Zeit werde ich den Lesern von PressMare alle technischen Details ausführlich erläutern.

PM – Kommen wir zur technischen Weiterentwicklung. Cantiere delle Marche ist für die Solidität seiner Schiffsplattformen bekannt. Woran arbeiten Sie derzeit?

GC – In den letzten Jahren haben wir unsere Plattformen weiter konsolidiert und verfeinert – auch dank der langfristigen Beziehungen zu unseren Eignern, ihren Sachverständigen und Kapitänen.

Diese Beziehungen, die auf gegenseitigem Vertrauen beruhen, sind ein strategisches Kapital für die kontinuierliche Verbesserung. Ihr Feedback fließt in jedes technische Detail ein – nicht nur in Bezug auf das Handling und die Bord-Erfahrung, sondern auch in „intimere“ technische Aspekte wie die Optimierung von Rümpfen und Anhängen zur Verbesserung von Leistung und Komfort.

Unsere hydrodynamischen Simulationen gehen über die herkömmlichen stationären Ansätze hinaus und nutzen nun LES (Large Eddy Simulation) und DES (Detached Eddy Simulation) – fortschrittliche Verfahren der Computational Fluid Dynamics (CFD), die normalerweise in der Luft- und Raumfahrttechnik angewendet werden. Diese Methoden ermöglichen es, Geometrien präziser zu verfeinern, transiente Phänomene, Vibrationen und Strukturgeräusche genauer vorherzusehen und so die Effizienz und den Komfort des Rumpfes zu erhöhen.

PM – Sie verwenden häufig den Begriff „sanfte Industrialisierung“. Was bedeutet er in Ihrem Kontext?

GC – Es ist unsere Produktionsphilosophie. „Sanfte Industrialisierung“ bedeutet nicht sterile Standardisierung, sondern Ordnung und Konsistenz zu schaffen, ohne den Menschen ihre Freiheit zu nehmen.

CDM ist wahrscheinlich eine der letzten italienischen Werften, in der die Produktion noch reale Gestaltungsfreiheit besitzt. Unsere Teamleiter und Produktionssupervisor sind aktiv in Entscheidungsprozesse eingebunden und verfügen über technische Autonomie, um operative Lösungen direkt an Bord umzusetzen – Dinge, die man nicht vom Computerterminal aus erledigen kann.

Das hält den „Standard der Werft“ lebendig – nicht nur als dokumentiertes Verfahren, sondern als Ausdruck von Kompetenz und Erfahrung. Industrialisierung bedeutet für uns, operative Bereiche zu vernetzen, Informationsverluste zu vermeiden und den Übergang von der Produktentwicklung zur Konstruktion und Produktion zu erleichtern.

PM – Es geht also eher um eine Methode als um eine Struktur.

GC – Genau. Unser Ziel ist es, zu optimieren, ohne zu vereinheitlichen.

In einem zunehmend komplexen Produktionsumfeld mit vielen parallel laufenden Projekten ist ein hoher Grad an Vormontage und frühzeitiger Konstruktion entscheidend. Dadurch können wir die operative Steuerung auch bei Outsourcing wahren und gleichzeitig die Gestaltungs- und Produktidentität sichern.

Wir arbeiten weit im Vorfeld – schon in der Vorvertragsphase oder sogar früher, in direkter Abstimmung mit dem Businessplan. Es ist entscheidend, gut vorbereitet zu sein, mit klaren Projektdefinitionen und einem bereits eingeleiteten Derisking-Prozess. Frühzeitige Arbeit bedeutet, Risiken zu minimieren und eine solide Basis für den gesamten Produktionszyklus zu schaffen.

Ich sage immer: Die ersten sechs Monate der technischen Planung und interdisziplinären Zusammenarbeit entscheiden über den Erfolg einer 50- oder 60-Meter-Yacht. In dieser Phase entstehen Layout, Systeme, Dokumentation und Lieferantennetz – danach wird die Produktion zu einer „spontanen chemischen Reaktion“.

PM – In einer Zeit, in der viele Werften immer mehr Arbeit auslagern, behalten Sie die Kontrolle im eigenen Haus. Ist das auch eine kulturelle Entscheidung?

GC – Absolut. Wenn man heute den Maschinenraum einer Yacht betritt, erkennt man oft nicht mehr die Werft, sondern das externe Unternehmen, das die Systeme konstruiert hat. Für mich ist das ein Zeichen von Identitätsverlust.

Bei CDM unterhalten wir eigene technische Entwicklungsbereiche, in denen das verteilte Know-how ein wesentlicher Bestandteil des Produktwerts ist. Es ist aufwendiger, aber genau das ermöglicht uns eine spürbar höhere Qualität – die Qualität, die man vor allem bemerkt, wenn die Yacht fährt.

PM – Wie würden Sie die technische Ausrichtung von Cantiere delle Marche heute definieren?

GC – Es ist ein Weg technischer und kultureller Bewusstheit. Wir arbeiten auf mehreren Ebenen: Verbesserung der Energieeffizienz, Optimierung der Plattformen und gleichzeitig Bewahrung der handwerklichen Seele unseres Bauens. Die wahre Herausforderung besteht darin, weiter zu innovieren, ohne die eigene Identität zu verlieren – denn Exzellenz ist keine Formel, sondern ein Gleichgewicht: zwischen Ingenieurkunst und Sensibilität, zwischen Methode und Freiheit, zwischen Industrie und Handwerk.

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